Halestorm: «Wir fordern uns selbst immer wieder heraus»

Interview und Konzertkritik: Halestorm
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Lars Müller/Rocknews.ch

«Your Chocolate is delicious, and your women give me kisses. Your accent makes me suspicious, but Zurich, you make me vicious.»

Das ist kein Zitat aus unserem Interview mit Gitarrist Joe Hottinger und Bassist Josh Smith, sondern von Sängerin Lzzy Hale später auf der Bühne des Dynamo. Es ist brechend voll – ausverkauft. «Vicious» ist nicht nur der Song, der auf das kleine Gedicht folgt, sondern auch der Titel des neusten Albums, welches Ende Juli erschienen ist. «Vicious», zu deutsch bösartig.

 

Seid ihr denn immer nett zueinander? Oder geht ihr euch auch mal auf die Nerven, wenn ihr immer so nah beieinander lebt?

Nein. Wir kennen uns jetzt schon so lange und wissen, wo unsere Schwächen liegen, worüber wir reden und welche Knöpfe wir drücken müssen. Aber wir könnten uns ganz schnell auf die Nerven gehen wenn wir wollten. Wenn wir «malicious» sein wollten. Einige Leute nennen Lzzy «Miss Malicious». Sie ist «vicious».

 

Apropos «Vicious» – habt ihr einen Lieblingssong auf der neuen Scheibe? 

Da gibt es ein paar. Zum Beispiel «Do Not Disturb», «Black Vultures» oder «Skulls». Zudem ist «Killing Ourselves to Live» ein sehr spezieller Song für uns. Einige Leute wollten den Song eigentlich gar nicht auf dem Album haben. Sie wurden überstimmt und nun stellt sich heraus, dass das die richtige Entscheidung war. Die Menschen sind begeistert ,wenn wir den Song live spielen, und wir mögen ihn auch sehr. 

 

«Killing Ourselves to Live» wird auch an diesem Abend im Dynamo gespielt und wird auch hier sehr gut vom Publikum aufgenommen. Das ist allerdings nicht weiter verwunderlich, denn Halestorm weiss sowieso mit dem gesamten Set zu überzeugen. Lzzys Stimme klingt zwar zu Beginn etwas heiser, gewinnt aber mit jedem Song mehr an Kraft und ist schliesslich auf dem gewohnt hohen Niveau. Das sehr durchmischte Publikum ist begeistert und kann sowohl die älteren Songs wie «Familiar Taste of Poison» oder «I Get Off» als auch die ganz neuen Stücke aus voller Kehle mitsingen. Das war nicht immer so. Mein erstes Konzert von Halestorm erlebte ich noch in sehr viel kleinerem Rahmen im Zürcher Abart. Was bevorzugt aber die Band selbst?

 

Spielt ihr lieber in intimen Clubs oder grossen Hallen?

Sie machen alle Spass. Diese Halle wäre zum Beispiel sehr cool! (Anm. d. Red.: wir sitzen im Werk21, dem Keller des Dynamo, wo jeweils kleine und intime Konzerte stattfinden). Das Publikum bringt die Energie, egal wo man ist.

 

Gibt es einen speziellen Ort, an dem ihr besonders gerne einmal spielen möchtet?

In den «Red Rocks» in Colorado. In diesem riesigen, natürlichen Aphitheater, das wäre grossartig.

 

Ihr habt schon mit vielen anderen grossen Bands und Künstlern auf der Bühne gestanden. Mit wem würdet ihr gerne einmal auf Tour gehen?

Wir waren noch nicht mit den Foo Fighters auf Tour, das wäre toll! Wir würden auch gerne nochmals mit Dorothy oder Pretty Reckless unterwegs sein. 

 

Könnt ihr denn auch noch ab und zu Konzerte von anderen Künstlern geniessen, oder nimmt euch eure eigene Arbeit komplett ein?

Normalerweise sind schon wir das Konzert. Aber wenn wir mal zu Hause sind, gibt es auch Shows, die wir nicht verpassen wollen, oder Konzerte von Freunden. Es ist interesssant für uns, weil wir auch Dinge sehen, die hinter den Kulissen passieren. Ich [Josh] hatte zum Beispiel kürzlich selbst technische Probleme auf der Bühne. Ich denke, die meisten werden das nicht bemerkt haben. Aber wenn du selbst Live-Musik machst, siehst du bei anderen Künstlern plötzlich Dinge, die du sonst nicht bemerkt hättest.

 

Wem Halestorm zur Zeit bestimmt regelmässig live zusehen kann, ist Devilskin. Die neuseeländische Band ist als Supportband mit Halestorm auf Tour. Passend, denn auch Devilskin haben eine weibliche Rockröhre am Mikrophon. Diese hat nicht nur eine gute Gesangsstimme, sondern überrascht auch immer wieder mit guten Metalgrowls. Leider klingt irgendwann alles etwas gleich, was aber auch an der Mischung liegen könnte. Umso freudiger wird das Dio-Cover «Holy Diver» angenommen. Den Stand der Supportband merkt man der Reaktion der Zuschauer überhaupt nicht an, Devilskin wird vom Publikum regelrecht gefeiert.

 

Dass Halestorm von einer anderen Female-fronted-Band unterstützt wird, ist naheliegend. Nicht nur wegen der musikalischen Nähe. Lzzy Hale gibt sich des öfteren feministisch – auf eine moderne Art. So singt sie in ihrer neusten Single «Do Not Disturb» selbstbewusst von einem intimen Erlebnis mit einem zuvor Fremden und dessen Freundin. Das Video zum Song ist bewusst witzig gehalten. Was sagen Joe und Josh dazu?

 

Wer hatte die Idee zum Video zu «Do not Disturb»?

Wir wussten von Anfang an, dass wir es nicht wirklich ernst haben wollen. In einem Kontrast zu den Lyrics und der [wahren] Story dahinter. Wir wollten es witzig gestalten und nicht so sexy und ernsthaft. Also haben wir uns den Regisseur geschnappt, von dem wir wussten, dass er es so umsetzen könnte. Wir engagierten Roboschobo [aka Robert Schober], und das Resultat war toll.

 

«Do Not Disturbed» ist Lzzys Geschichte. Was ist das seltsamste, das euch bisher auf einer Tour geschehen ist?

Joe: Bei einer meiner ersten Nächte in einem Bus – das war im Seether-Tour-Bus – habe ich vergessen, dass ich oben schlief. Es gibt drei Etagen in diesen US-Bussen. Ich vergass also dass ich in der dritten Etage war, kroch heraus und fiel genau ins Bett von Shaun [Shaun Morgan, Sänger von Seether] und seiner Freundin. Ich stammelte nur noch «Oh mein Gott, sorry Dude!». Das war scheisse. (lacht)

Josh: Einmal haben wir uns alle übereinander geschmissen vor Freude vor einer Tour. Ich war zuunterst und habe keine Luft mehr bekommen. Ich dachte schon, das wars. Als wir aufgestanden sind, haben wir nur noch gelacht. Ich bin fast gestorben. Es war grossartig. 

 

Ihr macht nun schon sehr lange zusammen Musik. Wo seht ihr eure grösste Entwicklung in dieser Zeit?

Die grösste Sache ist vielleicht, dass wir das überhaupt noch immer tun. Nein wirklich, in dieser Formation tun wir das nun seit 15 oder 16 Jahren. Aber wir arbeiten immer noch daran, noch besser zu werden. Wir fordern uns selbst immer wieder heraus, zum Beispiel ist Joe für die Setlist zuständig und entwirft für jede Show einen neuen Ablauf.

 

Welchen Song spielt ihr denn live am liebsten?

Wir haben viel Spass bei «Amen» und «I Miss the Misery», weil wir da dazwischen auch improvisieren und jammen können.

 

Was sich auch prompt bestätigt. Während «Amen» gibt es an der Show einen langen Instrumental-Teil. Dass dieses lediglich improvisiert ist, merkt man nicht, wenn man es nicht weiss. Was hingegen sofort ins Auge sticht, ist der Spass, den die vier Musiker bei der Einlage haben. Wäre der Funke nicht eh schon längst auf das Publikum übergesprungen, wäre es spätestens jetzt geschehen. Für Freude sorgte auch das Drum-Solo von Arejay Hale, das traditionell unterhaltsam gestaltet wird. Unter anderem kommen dabei übergrosse Drumsticks zum Einsatz, und ein zweiter Drummer für eine Portion Extra-Wucht. 

 

Seht ihr Unterschiede zwischen Europa und eurer Heimat Amerika, wenn ihr live spielt?

Ja, sogar zwischen den einzelnen Ländern. Die Menge ist immer etwas anders. Das europäische Publikum ist zum Beispiel mehr daran interessiert, in die Show eingebunden zu werden. Sie beginnen zu klatschen und so. Das US-Publikum wartet nur darauf, was ihnen gezeigt wird. Aber die verrücktesten sind tatsächlich die Südamerikaner.

 

Wisst ihr immer wo ihr seid wenn ihr so durch die Welt tourt?

Ja, wir sind doch keine Leadsänger!

 

Ah, verstehe, dann hat Lzzy also das Problem und nicht ihr?

Genau. Das ist ein Leadsänger-Problem. Ein wahres Klischee.

 

Spielt ihr lieber live oder seid ihr lieber in einem kreativen Prozess?

Beides. Wenn wir auf Tour sind, können wir es irgendwann kaum mehr erwarten, ins Studio zu gehen. Aber wenn wir im Studio sind, können wir es nicht erwarten, die neuen Songs live zu präsentieren.

 

Auch das Publikum schätzt anscheinend beides sehr. Das aktuelle und vierte Album «Vicious» ist direkt in die Top 10 der Schweizer Charts eingestiegen, und das ausverkaufte Dynamo lässt keine Fragen nach der Beliebtheit der Band offen. Halestorm macht es einem aber auch leicht, sie zu mögen. Wer mit einer solchen Freude seine Songs performt, dazu eine Top-Qualität zeigt und dazu auch noch jeden Abend die Setlist ändert (ohne den abwechslungsreichen Mix aus alten und neuen Songs zu verlieren), hat es nicht anders verdient. 

 

Als Zugabe gibt es «Here’s to us» und man kann nur raten, ob in dem Song nun auf die Band oder das tolle Publikum angestossen wird. Verdient haben es beide. 

 

Seraina Schöpfer / So, 04. Nov 2018